Ein Zuzügler wird zur Ortschaftsratsitzung eingeladen

Am Dienstag dem 10. März wurde ich zur Ortschaftsratssitzung eingeladen. Nah..  nicht nur ich. Wir alle! Und was hat mich bewegt dorthin zu gehen? Schließlich bin ich kein Einheimischer. Noch nicht. Nun, ich habe eine Whatsapp-Nachricht bekommen. Was denn sonst? So ist das moderne Leben auf dem Lande. Die Einladung hängt im Schaukasten und ein Screenshot davon wird über die Sozialen-Medien weitergeleitet. Wenn man was wissen muss, dann wird das rumgereicht. So funktioniert Wartenburg. Es spricht für ihre Weltoffenheit, dass ein Ausländer von einer entfernten Insel, der gerade zwei Jahre in hier wohnt, auf dem privaten Wege extra Bescheid gegeben wird, dass in seiner Wahlheimat demnächst die Ortschaftsratssitzung stattfindet.

Ich war gespannt auf die Stimmung. Stimmung ist auf dem Dorf nicht immer ganz unkompliziert. Ich kenne das aus meinem Heimatfjord, Midfjordur, wo einer meiner Kumpel mit dem anderen nicht kann, weil sein Opa dem anderen Opa im vorletzten Jahrhundert ein kaputtes Pferd nicht ersetzt hat. Die haben bis heute ein Problem. Vielleicht ist der wirkliche Grund aber eine Geliebte vor zwei Jahrzenten. Wer weiß.

Die Sitzung fing auch kritisch an. Gerade die Art des Aushanges, sprich der Einladung, wurde von einigen als zu verdeckt kritisiert. Warum nutzt man nicht die modernen Medien?

Wir leben in einer Zeit wo das moderne und das traditionelle im Zwiespalt steht. Was für den einen eine Selbstverständlichkeit ist, passt dem anderen gar nicht und umgekehrt. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil. Gegensätze können einander befruchten. So heißt es auch in den Nordischen Mythologien sei der Kosmos entstanden. Als Eis und Feuer aufeinander prallten und wie aus dem Nichts die neun Welten entstanden sind. Ich hatte zeitweise Bange dass es auf der Sitzung ähnlich zwischen Eis und Feuer zugehen würde, als die Emotionen hoch liefen. Explodiert es? Eine rege Diskussion wurde von Teilnehmern auf beiden Seiten gekonnt auf die sachliche Ebene gelenkt. Es war deutlich, dass die Zukunft unseres Ortes den anwesenden sehr am Herzen liegt und es war schön, und wichtig, diese Leidenschaft zu spüren.

Wie Eis und Feuer sind die Einwohner und der Ortschaftsrat auf einander angewiesen um den Ort zu revitalisieren. In dem Punkt waren die anwesenden auf jedem Fall einer Meinung. Beide Seiten brauchen und wollen den offenen Austausch. Der Ortschaftsrat ist durch seine Besetzung gut in die Vereine vernetzt, die Tür des Ortsbürgermeisters ist jede Woche Dienstags von 16:30 bis 18:00 Uhr geöffnet und durch die Feldpost, www.wartenburg.de, haben wir ein aktuelles Medium für Öffentlichkeitsarbeit. Und nicht zuletzt sitzen wir eben jetzt zusammen und tauschen uns aus wo der Schuh drängt oder was nach meiner Meinung noch wichtiger ist: „Wo soll es hingehen?!“ Welche Vision haben wir für die Zukunft? Ich hatte das Gefühl hier kann sich was bewegen.

Oder auch nicht. In vielen Bereichen scheint das Ziel wortwörtlich in der deutschen Bürokratie zu versumpfen. Beziehungsweise zu verlanden. Unsere Teiche. Es ist eine Unmöglichkeit sie zu sanieren. Bürokratisch und finanziell unüberwindbar. Wobei gerade Gewässer die Grundlage des Lebens und der Artenvielfalt von jeder Region sind! Seit meiner Ankunft in Deutschland werde ich immer wieder von der Dimension der deutschen Bürokratie entgeistert. Liebe Deutsche, da stellt ihr euch selbst Steine in den Weg! Wie mir der Ortschaftsrat Schritt für Schritt die Sachlage erläutert entwickelt sich bei mir eine gewisse Sympathie für Asterix und Obelix, wie sie Passagierschein A38 ausfüllen (versuchen) um zur nächsten Szene zu gelangen. Steht Wartenburg in einer Zeichentricklupe fest? Die Angler dürfen nicht mehr am Ufer stehen. Anliegen werden unermüdlich weitergeleitet ohne bis jetzt merkbaren Fortschritt. Reparaturen sind zu teuer bzw. Sanierungen nicht rentabel. Der neue Besitzer der Schule am Waldrand hat sich (überraschenderweise) noch nicht gemeldet. Wir wissen nicht was mit der Kneipe passiert. Anträge für die Werteerhaltung müssen neu gestellt werden, weil die Bedingungen sich nachwirkend geändert haben und alles von vorne los geht. Es wird noch auf‘s Angebot vom Ingenieur gewartet. Ein Satz den ich nur aus Deutschland kenne: „Ich weiß das macht kein Sinn aber wir müssen es so machen“.

Wie behält man die Motivation, wenn man gegen solche Windmühlen kämpft?

Ganz einfach, schau raus. Mach einen Spaziergang durch den Ort und durch den Wald (2 Meter Abstand halten bitte). Hier ist es schön und hier will ich leben. Wir bewegen was sich bewegen lässt und so kommt schon der eine und andere Stein ins Rollen. Schaut, immerhin haben wir jetzt schnelles Internet. 🙂 Vielleicht kriegen wir als nächstes den Radweg! Wer weiß.

Arni Thorlakur Gudnason
Neuer Wartenburger

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