Vor 180 Jahren – Sieben auf einen Streich

Nein, es folgt jetzt kein bekanntes Märchen!
Aber in der Geschichte geht es auch um die großen Märchenerzähler, die Brüder Grimm und um einen Sohn unsrer Heimat.
Lassen wir uns überraschen!

1837 starb William IV.König von Großbritannien, Nordirland und Hannover. Sein jüngerer Bruder Ernst August (1771-1851) hätte die Nachfolge antreten können, aber da konnte dessen 18-jährige Nichte Victoria (1819-1901) doch noch ein Wörtchen mitreden. Ihr Vater war vor Onkel Ernst geboren. Als Frau auf den Britischen Inseln besaß sie das Vorrecht auf die englische Königskrone, hatte aber keinen Anspruch auf dem konservativen Festland. Dort konnte der neue König von Hannover, nun als Ernst August I., sich stolz die Krone aufs Haupt setzen. Damit wurde eine 123-jährige Personalunion gekappt.  
Was William noch an liberalen Zugeständnissen, insbesondere nach dem Hambacher Fest von 1832, bewilligt hatte, negierte nun der neue König und hob am 1. November 1837 das Staatsgrundgesetz auf.
Dreist und dumm zugleich!
In dieser Situation probten mutige Göttinger Professoren den Aufstand – Sieben auf einen Streich, besser die sieben Aufrechten – die Göttinger Sieben.
Am 18. November reichten sie schriftlich ihren Protest gegen die Aufhebung der eingeführten liberalen Verfassung ein.
Wer waren diese Helden? Schauen wir sie uns kurz an.

                                                                                  

Die Göttinger Sieben (von links oben bis rechts unten) gegen König Ernst August I. von Hannover
Oben:    Wilhelm und Jacob Grimm
Mitte:     Wilhelm Eduard Albrecht, Friedrich Christoph Dahlmann, Georg Gottfried Gervinus
Unten:   Wilhelm Eduard Weber, Heinrich Georg August Ewald
 

Wilhelm Carl Grimm (1786-1759), der bekanntere der Grimms, jahrelang als Bibliothekar tätig, erhielt für seine sprach- und literaturwissenschaftlichen Leistungen 1835 eine Professur an der Universität Göttingen.

Jacob Ludwig Carl Grimm (1785-1863) erwarb sich große Verdienste als Diplomat beim Wiener Kongress 1815. Nach seinen intensiven Sprachforschungen nahm er schon 1830 eine Professur in Göttingen an.
In der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 wurde er Ehrenabgeordneter und schrieb Kommentare zu den neuen Grundrechten des deutschen Volkes.
(Beide Grimms wurden später Mitglieder der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Neben Ihren volkstümlichen Märchen ist das „Deutsche Wörterbuch“ ihr bleibendes Vermächtnis. Bis 1961 entstanden 32 Bände.
Ihr jüngerer Bruder Ludwig Emil (1790-1863) setzte als Maler ihre Märchen bildhaft um.)

Wilhelm Eduard Albrecht (1800-1876) wurde nach seinem Studium 1825 Professor der juristischen Fakultät in Königsberg und ging 1830 nach Göttingen. Als Staatsrechtler anerkannt, wirkte er 1848 in der Frankfurter Nationalversammlung.  

Friedrich Christoph Dahlmann (1785-1860) erwarb im April 1810 den philosophischen Doktorgrad an der Universität zu Wittenberg! 1829 nahm er die Professur für Staatswissenschaften in Göttingen an und war maßgebend für das Zustandekommen des hannoverischen Grundgesetztes von 1833 beteiligt.
1848 zog er als Abgeordneter in die Frankfurter Nationalversammlung ein und arbeitete aktiv an der ersten Reichsverfassung mit.

Georg Gottfried Gervinus (1805 – 1871) promovierte an der Heidelberger Universität und lehrte dort Geschichte und Literatur, wechselte dann 1836 nach Göttingen.
1848 wurde er Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung.

Heinrich Georg August Ewald (1803-1875) studierte an der Georg-August-Universität in Göttingen Orientalistik. 1826 zum Professor für orientalische Sprachen an der Theologischen Fakultät ernannt, wurde er später einer der bedeutendsten Orientalisten in Europa.

Wilhelm Eduard Weber (1804 -1891) war seit 1831 Professor für Physik an der Universität in Göttingen tätig.

Anfang Dezember 1837 sollten sich die Professoren vor dem Universitätsgericht verantworten.
Sie widerriefen nicht!  Am 14. Dezember wurden sie ihrer Ämter enthoben.
Dahlmann, Gervinus und Jacob Grimm mussten sogar innerhalb von drei Tagen nicht nur Göttingen, sondern auch das Königreich Hannover verlassen.
Ihr couragiertes Auftreten, ihre Standhaftigkeit fand große Beachtung und trug wesentlich zur Schaffung einer liberalen Öffentlichkeit in den Jahren vor 1848/49 bei.
Vier der Göttinger Sieben zogen dann als gewählte Abgeordnete in das erste demokratische Parlament, die Nationalversammlung, feierlich in die Paulskirche zu Frankfurt am Main ein.

Wilhelm Eduard Weber wurde am 24. Oktober 1804 in Wittenberg, im Königreich Sachsen, geboren. In der Schlossstraße Nr. 10 steht das heute bekannte Haus mit der Goldenen Kugel.

Durch die Nachwirren der Befreiungskriege, Wittenberg gehörte nun zum Königreich Preußen und die Universität war 1815 nach Halle verlegt worden, zog die Familie vorerst nach Bad Schmiedeberg, dann nach Halle(Saale) weiter.

In den Franckeschen Stiftungen erwarb er eine höhere Schulbildung und konnte dadurch an den experimentellen Untersuchungen seines älteren Bruders Ernst Heinrich (1795-1878) teilnehmen. Die Ergebnisse wurden1825 in seinem ersten Buch “Wellenlehre, auf Experimente gegründet“ niedergeschrieben. Das Problem Wellen ließ ihn nicht mehr los. Interessanterweise widerspiegelte sich dies auch in seiner Arbeit über die Akustik der Orgelpfeifen. Mit seinem jüngeren Bruder Eduard Friedrich (1806-1871) veröffentlichte er außerdem die „Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge“.

Nach der Professur in Halle ging er 1831 an die Universität in Göttingen und lehrte dort als Professor für Physik. Hier befreundete er sich mit Carl Friedrich Gauß
(1777-1855). Er galt als der „Fürst der Mathematiker“.
1833 konstruierten sie einen ersten elektromagnetischen Telegraphen. Wagehalsig wurden Kupferdrähte über die Dächer von Göttingen verlegt. Die ersten telegraphischen Übermittlungen sollen zwischen Webers physikalischem Institut und dem 900m entfernten, magnetischen Observatorium der Sternwarte codeähnlich erfolgt sein. Angespornt gründeten beide 1836, gemeinsam mit Alexander von Humboldt (1769-1859), den Magnetischen Verein. Die weitere Zusammenarbeit wurde dann durch die Ereignisse vom November 1837 vorerst unterbrochen.
Nun schlug er sich als Privatlehrer durch, begab sich auf Reisen, erhielt 1843 ein Angebot von der Universität Leipzig und nahm hier umfangreiche Untersuchungen zu elektrodynamischen Messverfahren vor.
Nach den Ereignissen von 1848/49 durfte er auf Fürsprache von Gauß in seine alte Stellung in Göttingen zurückkehren. Hier begannen nun seine weiteren langjährigen Forschungen zum Elektromagnetismus.
Am 23. Juni 1891 verstarb er in Göttingen.
Ihm zu Ehren ist die Einheit des magnetischen Flusses, das Weber(Wb), benannt.

(Wolfgang Kunze)
Berlin