Vor 200 Jahren auf dem Wartenberg

17. Oktober 1817
Das thüringische Städtchen Eisenach sieht an diesem herbstlichen Tag viele strahlende,  jugendliche Gesichter. Es sind die über 500 studentischen Abgesandten (Burschen) aus mehreren Universitätsstädten. Der Ansturm ist gewaltig. Die Wirtshäuser sind überfüllt, es wird ausgiebig getrunken, aber auch laut diskutiert. Die Übernachtungsplätze sind rar.

Groß ist der Andrang in der Schänke „Bierstuben“, die der alteingesessenen Familie Cotta gehörte. Hier soll Luther um 1500 gewohnt und privat gelehrt haben.
An einem Tisch sitzen Christian August Vulpius (1762 – 1827), Doktor der Philosophie an der Universität Jena, Schwager von Johann Wolfgang von Goethe, und sein 15jähriger Sohn Rinaldo. Neben Ihnen haben Platz genommen die Jenenser Studenten Johann Friedrich Gentzen (1796-1871), der spätere Lehrer von Heinrich Schliemann  und Karl Friedrich Jacobi (1795 – 1855), später Professor der Mathematik und Physik am Gymnasium in Schulpforta. Dazu gesellen sich der Jurastudent aus Göttingen, Friedrich Sieveking (1798-1872), später 1. Bürgermeister von Hamburg und der Heidelberger Student Karl Gustav Jung (1795-1864), der später berühmte Professor für Chirurgie, Anatomie und Entbindungskunst an der Universität in Basel

Im Gasthof „Goldener Löwe“ treffen sich die Professoren Dietrich Georg  Kieser (1779 – 1862) und Lorenz Oken (1779-1851). Beide Mediziner kommen aus Jena. Oken ist Herausgeber der fachübergreifenden und kritischen Zeitschrift „Isis“, die von „F. A .Brockhaus“ verlegt wird. Er will über die kommenden Ereignisse berichten.
Ihre Blicke richten sie auf den morgigen Redner, auf den Philosophieprofessor aus Heidelberg Jakob Friedrich Fries (1773 – 1843).

Von draußen hört man aufgeregtes Stimmengewirr. Auf dem Vorplatz erinnert das Mitglied des Festausschusses, der Erlanger Student Karl Ludwig Sand (1795 – 1820) an ein furchtbares Ereignis. Hier explodierten am Abend des 1. September 1810 Pulver- und Munitionswagen durchziehender französischer Truppen. Dabei starben 70 Menschen, vor allem Eisenacher Bürger. 14 Häuser wurden vollständig zerstört, weitere schwer beschädigt.

18. Oktober 1817
Langsam verzieht sich der Morgennebel und man nimmt die einzelnen Gruppen wahr, die sich über den Schlossberg in Richtung Wartburg bewegen. Einige tragen die Uniform der Freiwilligen aus den Befreiungskriegen, die schwarz gefärbten Röcke mit den roten Vorstößen und den goldfarbenen Messingknöpfen.
Die Jenenser Burschenschaft hat auf den Wartenberg eingeladen, um die Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig und die 300jährige Wiederkehr der Reformation feierlich zu begehen.
 Im Verlaufe des Vormittags werden viele Reden gehalten. Großen Beifall erhält Prof. Fries. Die Sprecher der einzelnen Burschenschaften bringen ihre Enttäuschung über die Ergebnisse der Befreiungskriege zum Ausdruck und mahnen die Herrschenden zur Einhaltung der schon 1813 und später 1815 gegebenen Versprechen zur Einheit und Freiheit.
Nach dem Essen geht es am Nachmittag in die Stadt zurück und auf dem Marktplatz werden Turnübungen der staunenden Bevölkerung vorgeführt
Der Abend gestaltet sich zum Höhepunkt. Der Fackelzug um den Wartenberg zur Wartburg hinauf, gipfelte darin, dass unter dem allgemeinen Jubel sichtbare Zeichen der alten Zeit, ein hessischer Militärzopf, ein österreichischer Korporalstock und ein preußischer Ulanen-Schnürleib in einem entfachten Feuer verbrannt werden. Da hinein werden aber auch Schriften geworfen, wie der Gendarmeriekodex des preußischen Polizeiministers, der die Bespitzelung und Verfolgung von Freiheitsvertretern vorsah, aber auch das fortschrittliche Code civil Napoleons I. wird ein Raub der Flammen.
Neben dem Feuer stand aufgebracht Karl Ludwig Sand, der August von Kotzebues (1761-1819) „Geschichte des deutschen Reiches“ mit Genugtuung in die Flammen warf.
Zwei Jahre später wird er dem Autor einen Dolch mehrfach in die Brust stoßen mit den Worten:“ Hier, du Verräter des Vaterlandes!“

Die Kühle des späten Abends lässt alle am Feuer zusammenrücken. Lieder der Befreiungskriege werden gesungen, Gedichte von Theodor Körner und Ernst Moritz Arndt rezitiert. Diese jungen Leute verbindet die Idee der nationalen Einheit und Freiheit.

Wenige Tage später werden die Jenenser Burschenschaft „Die Grundsätze und Beschlüsse des 18. Oktober“ verfassen, ein 36 Punkte umfassendes Programm mit dem Leitsatz: “Ein Deutschland ist, und ein Deutschland soll sein und bleiben.“
1841 wird es der Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 – 1874) im englischen Exil auf Helgoland im „Lied der Deutschen“ nationalistisch schärfer formulieren.

19. Oktober 1817
Viele Vertreter aus den Universitätsstädten sind schon abgereist. Aber im Gasthof „Goldener Löwe“ diskutieren immer noch einige Eifrige mit Prof. Fries und beraten über die Koordinierung der Burschenschaften. Andere wandern noch einmal zur Wartburg hoch. Aber alle verlassen Eisenach im Bewusstsein, dass die Menschen frei leben und ihre Meinung frei äußern sollten, in einem einheitlichen Deutschland.
Epilog

Das Wartburgfest war ein mutiger Protest. Es brachte die “Staatsorgane“ auf Trapp, um die patriotische Bewegung schon in ihren Anfängen zu unterdrücken.
Die unsinnige Mordtat des Studenten Sand machte es den Herrschenden dabei leicht.
Aber vor 185 Jahren wehten auf dem Wege zum Schloss Hambach
die schwarz-rot-goldenen Fahnen stolz vor über 30 000 Teilnehmern und wurden dann zum Symbol der demokratischen Ereignisse von 1848/49.

Wolfgang Kunze

(Bildnachweise: Quelle Wikipedia)