Wartenburg vor 205 Jahren

Januar – Juli 1815

Wartenburg in Sachsen                                                                                                      Montag, 6. Januar 1815. Pfarrer Gottlob Rüffer (1761-1831) war schon zeitig im verschneiten Ort durch den Schnee gestapft. Zurückgekehrt klopfte er sich auf der Treppe zum Pfarrhaus die Reste der weißen Flocken vom Rock, schloss die Tür auf und empfing eine wohlige Wärme. Gut, dass die Magd schon eingeheizt hatte. Im Arbeitszimmer suchte er nach Kerzen. Kurz vor Weihnachten war er im Ort angekommen, um die Nachfolge seines verstorbenen Vorgängers Rudolph Gerstäcker anzutreten. Nun wollte er dessen Nachlass sichten. Beim Zuordnen fielen ihm zwei zusammengeschnürte, aber offenbar schon gelesene Schriftstücke auf. Ein Brief enthielt den Vermerk ,,Blücher”, auf dem anderen stand ,,Yorck“.

Breslau in Schlesien                                                                                                                Hier wohnte Ludwig Graf Yorck von Wartenburg in der oberen Etage eines Privathauses, in dem sich unten ein Handelsgeschäft befand. Immer wieder fragte er seinen Hausdiener, ob der Bote schon eingetroffen sei. Sicherlich verzögerte der Schneefall der letzten Tage dessen Ankunft. Am späten Abend traf dieser ein. In seiner Mappe befand sich das ,,Amts-Blatt der Königlich-Liegnitzschen Regierung zu Schlesien No 3″ mit folgender Ankündigung:

,,Liegnitz, den 21. Januar 1815

Wegen der von den Justiz-Offizianten zu übernehmenden Geschäfte eines Auditeurs bei kleinen Garnisionen

Auf Antrag des königlichen Generals von der Infanterie und kommandierenden Generals in Schlesien, Herren Grafen York  von Wartenburg, werden sämtliche Justiz-Offizianten im hiesigen Departement angewiesen… 

Liegnitz den I3. Januar 1815 Königl. Preuß. Oberlandesgericht v. Schlesien“

Ein Lächeln glitt über Yorks Gesicht. Endlich und verfällt in eigene Erinnerungen, als er ungerecht in Königsberg 1779 inhaftiert wurde; ausgerechnet sein Vater war damals Festungskommandant, aber auch danach in Ceylon, als er eingreifend handeln musste. Als Kommandeur vertraute Yorck den kriegsgerichtlichen Untersuchungen der Auditeure, den Militärjustizbeamten. Leider wurde deren Arbeit immer umfassender, sodass man nun auf Justiz-Offizianten zurückgreifen sollte. Plötzlich waren Yorcks Gedanken im Jahre 1814, bei den kräftezehrenden Schlachten in den ersten Monaten in Frankreich, dann beim Einmarsch in Paris Ende März, bei seiner Erhebung in den Grafenstand im Juni, wobei die versprochene Dotation Klein-Oels immer noch ausstand, bei seiner anschließenden gemeinsamen Reise mit Blücher in Begleitung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) nach London. Seit Juli l8l4 war Yorck für Schlesien der Oberkommandierende und hat die dortigen Garnisonen zu kontrollieren. Dann las er nachdenklich die weiteren Mitteilungen über widersprüchliche Nachrichten aus der österreichischen Hauptstadt.

 

Wien                                                                                                                                        Hier tagte offiziell seit dem 1. November l814 ,,Der große Wiener Friedens-Congres zur Wiederherstellung von Freiheit und Recht in Europa“, wie ein französischer Zeichner sein bekanntes Gruppenbild benannte. Spöttisch hatte er zu den nummerierten Teilnehmern auch der Gerechtigkeitsstatue eine Ziffer gegeben.

Gastgeber war der österreichische Außenminister Clemens Fürst von Metternich (1770-1856). Die Akteure, die Regelungen eines Friedensvollzuges in Europa treffen sollten, waren die ,,Großen Fünf“, Österreich, Russland, Großbritannien, Preußen und auch Frankreich, denn mit der Unterzeichnung des 1. Friedens von Paris am 30. Mai l8l4 wurde die Herrschaft des französischen Königtums hofiert, die Grenzen von 1792 anerkannt, Gebiete zurückgegeben, selbst von England eroberte Kolonien und auf Kriegsentschädigung verzichtet. Mit dem Artikel VI des Vertrages wurde auch gleichzeitig die Grundlage für Verhandlungen über die staatliche Neuordnung der Länder des vormaligen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gelegt. Österreich und Preußen hatten anfangs gemeinsam einen Verfassungsentwurf für einen deutschen Bundesstaat vorgelegt. Dieser scheiterte vorerst am Widerstand von Bayern und Württemberg. Nun unterstützte im Dezember l8l4 Preußen die Forderung Russlands auf  Polen und verlangte seinerseits die Annexion Sachsens. Daraufhin ging gegen beide Mächte Anfang Januar 1815 Österreich ein Bündnis mit England und Frankreich ein. Fürst Blücher wetterte:,,Der Kongreß gleicht einem Jahrmarkt in einer kleine Stadt, wo jeder sein Vieh hintreibt, es zu verkaufen und zu vertauschen.”

Nach diplomatischem Hick Hack einigten sich die Großmächte Anfang Februar auf Basis einer Teilung Polens und Sachsens. Diese Entscheidung sollte auch für das entfernte Wartenburg bestimmend werden.

Doch vorerst reagierten die Großmächte wie die aufgescheuchten Hühner im Stall, als die Nachricht von der Flucht Napoleons von der Insel Elba und seine Landung in Frankreich die vergnüglich Tanzenden in Wien erreichte. Mit voller Energie marschierte seit Anfang März der 44jährige Korse in Eilmärschen nach Paris. Sein Siegeszug vom Volk umjubelt, war nicht aufzuhalten. Mitte März 1815 erfolgte die Ächtung Napoleons, einige Tage später die Erneuerung der antinapoleonischen Koalition durch die vier Großmächte England, Russland, Österreich und Preußen. 33 deutsche Mittel- und Kleinstaaten boten schnell ihren Beitritt an unter den Bedingungen einer deutschen Bundesverfassung, aber auf der Basis ihrer vollen Souveränität. Ein gemeinsamer, letzter Koalitionskrieg sollte Napoleon endgültig besiegen.

Wartenburg (noch) Sachsen                                                                                       Karsamstag, 20. April 1815. Pfarrer Rüffer überflog noch einmal seine Niederschrift zur Osterandacht. Dann stockte er. Sollte er morgen auf den bevorstehenden Wechsel des Ortes zum preußischen Herrschaftsgebiet eingehen? Aber wie sollte er es der Gemeinde erklären, zumal die Politik kaum durchschaubar war und die Ereignisse sich tagtäglich überschlugen? Auf alle Fälle würde er keine Friedensbotschaft verkünden können.

Lüttich/Niederlande                                                                                                                 Hier standen die preußischen Einheiten für den neuen Koalitionskrieg bereit. Ihr König befahl schon Mitte März ,, … das Aufbieten der Landwehr …, die Einberufung aller Beurlaubten, Officiere, Unterofficiere und Gemeine, sowohl von der Linie als von der Landwehr. Wenige Tage später wurden auch alle Officiere aufgefordert, sich sofort bei den Regimentern, zu denen sie zu letzt gehört, zu melden.  Wieder eilte die Jugend Preußens zu den Waffen.” Auch York gab jetzt den Bitten seines Heinrich nach und gestatte ihm mitzugehen. Er sandte ihn an Sohr: keinem lieber vertraute er das Liebste an, was er habe “, schrieb Droysen in seiner späteren Yorck-Biografie.

 

Der 73jährige Blücher sollte das preußische Heer anführen. Ihm zur Seite standen viele der bekannten, heldenhaften Kämpfer, die an den verschiedensten Schlachten der Befreiungskriege beteiligt waren, auch bei Wartenburg.

Aufstellung der preußischen Armee:

Oberbefehlshaber:         Feldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher Fürst von Wahlstatt (1742- 1819) 
Generalstabschef:          Generalleutnant August Wilhelm Anton Graf Neithardt von Gneisenau (1760-1831)        
Generalquartiermeister: Oberst Karl Wilhelm Georg von Grolman ( 1777- 1843)

I.    Armeekorps General von Zieten (1770-1848)
II.   Armeekorps General von Borstell (1773-1844), ab Mai General von Pirch (1763-1838)                           
III. Armeekorps General von Thiel(e)mann (1765-1824)                                                                                                               
IV. Armeekorps General Graf Bülow von Dennewitz (1755-1816)                                                                                               
V.  Armeekorps General Graf Yorck von Wartenburg (1759-1830)                                                                                             
VI. Armeekorps General Graf Tauentzien von Wittenberg (1760-1824)

Neues Bundesarmeekorps General Graf Kleist von Nollendorf (1762-1823)

Gneisenau hatte zwar auf ein eigenes Armeekommando gehofft, nahm aber den Posten im Generalstab an. Er stand im engen brieflichen Kontakt mit dem damaligen preußischen Kriegsminister Hermann von Boyen (1771-1848). In den Vorbereitungen der Truppenaufstellungen kam es im Lütticher Hauptquartier zu einer Meuterei. Die Teilung Sachsens war Mitte Mai in Wien besiegelt worden. Die sächsischen Bataillone sollten sich zwischen preußischen und sächsischen Diensten entscheiden. Aufgebracht drangen einige Soldaten in Blüchers Haus ein. Obwohl auch von sächsischen Wachen verteidigt, musste dieser fliehen und griff dann zum Kriegsrecht. Einige Anführer wurden standrechtlich erschossen. Generalleutnant Borstell, der sich der Verbrennung der sächsischen Fahne widersetzte, wurde vom Dienst suspendiert und zu Festungshaft verurteilt. Sein Kommando übernahm nun Generalmajor Georg Dubislav von Pirch. Dessen Bruder Generalmajor Otto von Pirch (1765-1824), der zwischenzeitlich das Yorcksche Korps kommandiert hatte, kämpfte als Brigadechef bei Ligny.                                                                                       Ironie der Geschichte:1843 nahm man Borstell in die Berliner Ehrenbürgerliste auf, wegen seiner Verdienste in der Schlacht von Dennewitz.

Yorck, Oberkommandierender in Schlesien, sollte mit seinem Korps die rückwärtigen Gebiete sichern, bis zum Festungsgürtel Magdeburg –Wittenberg-Torgau. Auch General der Infanterie Bogislav F. E. von Tauentzien gab vorerst mit seinem Korps Rückendeckung zwischen Elbe und Rhein.

Yorck lehnte aber dankbar ab. Ein Briefwechsel mit dem preußischen König erfolgte, wobei er im Schreiben vom 6. Mai auch auf seine Entlassung drängte. Einen gewissen Stolz empfand er, dass sich sein l7jähriger Sohn Heinrich zur Armee gemeldet hatte. Der Vater ließ ihn einkleiden, porträtieren und vermittelte ihn in die Einheit seines treuen Obersten Friedrich von Sohr (1775-1845), Truppenführer auch in der Schlacht von Wartenburg.

Anfang Juni ging Napoleon in die Offensive und erreichte am 14. Juni die Grenze zu den Niederlanden mit 80 000 Soldaten. Zur Aufstellung der britisch-niederländischen Armee soll nur ihr Oberbefehlshaber Arthur Wellesley Herzog von Wellington (1770-1840) benannt werden. Seine Armee umfasste etwa 70 000, Blüchers Armee knapp 50 000 Mann; die Angaben sind nicht sicher. Von Anfang an war es Napoleons Absicht, die Verbündeten getrennt zu schlagen. Ob der Übertritt eines französischen Generals mit seinen Truppen und der Verrat des Planes für den späteren Ausgang des Feldzuges entscheidend waren, mag dahingestellt sein.

 

 

Auf alle Fälle hatten sich Blücher und Wellington gegenseitigen Beistand zugesichert, wobei letzterer es nicht ganz wörtlich nahm und am Abend des 15. Juni noch sein Tanzbein schwingen musste. Blücher aber, trotz der verlorenen Schlacht von Ligny am 16. Juni, trotz seines schweren Sturzes vom Pferd, aber von seinem Adjutanten Major von Nostitz (1777-1866) gerettet und beschützt, drängte immer wieder darauf: ,, Ich habe es Wellington versprochen.“

Während der Feldmarschall noch vermisst wurde, gab sein Stabschef Gneisenau den Befehl zum Rückzug nach Norden, um den britisch-niederländischen Truppen zu Hilfe zu eilen. Das rechtzeitige Eintreffen der preußischen Truppen am Abend des 18. Juni  führte zum Sieg der Verbündeten.

Die Schlacht von Waterloo/Belle Alliance ist von vielen beschrieben worden und kann heute noch die Gemüter der Militärhistoriker erhitzen mit vielen ,,Wenn und Aber“. Man kann über Naturwidrigkeiten oder taktische Fehler diskutieren; es war so geschehen. Der große Feldherr verließ verbissen das Schlachtfeld, ließ seine Truppen in Stich. Symbolisch für seinen fluchtartigen Abgang war die Plünderung seiner zurückgebliebenen Karosse.

Epilog 1:

Am 4. Juli I 8 I 5 schreibt Blücher an seine Frau:

 „ In meinem letzten Brief sagte ich, das du den nächsten aus Paris erhalten sollst; du siehst das ich Wort halte. Aber ich habe gestern und heute wieder 3000 Mann verloren; ich hoffe zu Gott, es sollen die letzten in diesem Kriege sein; ich habe das Morden zum Überdruss satt. Paris ist mein: Das französische Militär marschiert hinter die Loire, und die Stadt wird mich übergeben. Die unbeschreibliche Bravour und beispiellose Ausdauer meiner Truppen nebst meinem eisernen Willen verdanke ich alles. Ich kann dich heute nicht mehr schreiben ich bin zu sehr beschäftigt und zu matt… Das Blutvergießen wird aufhören”.

Es hörte einfach nicht auf.

Am 4. Juli gerieten Husaren des Obersten von Sohr bei Versailles in einen französischen Hinterhalt. Viele erlitten schwere Verwundungen, darunter auch Yorcks Sohn Heinrich, an deren Folgen er drei Tage später verstarb. Der alte Yorck war am 14. Juli mit seiner Johanna, dem kleinen Ludwig und Tochter Bertha im damaligen Bad Warmbrunn (heute Stadtteil von Jelenia Gora) als die Nachricht vom unglücklichen Gefecht kam. Er und seine Frau schrieben nun hoffnungsvolle Briefe. Durch den  Generaladjutanten Karl F. W. Reyher (1786-1857) empfingen sie die schmerzliche Todesnachricht.

Epilog 2:

Nach der Schlacht musste Napoleon endgültig abtreten. Die Bühne für ein neues Theaterstück ,,Europa“ wurde vorbereitet und die politische Karte veränderte sich wieder einmal. Schon am 9. Juni l8l5 war die Schlussakte des Wiener Kongresses unterzeichnet, einen Tag vorher die Bundesakte für einen Deutschen Bund von 4l souveräner Staaten und freier Städte mit Österreich als Präsidialmacht verabschiedet worden und damit die Weichen für neue geschichtliche Entwicklungen gestellt, auch für das nun preußische Wartenburg.                                       

(Wolfgang Kunze)

 

Literatur:

Amts-Blatt No 3 der Königlich-Liegnitzschen Regierung in Schlesien l8l5

J. G. Droysen, Das Leben des Feldmarschalls Grafen York von Wartenbur, 2. Bd, Berlin 1854

T. Klein, Die Befreiung 1813-1814-1815, Berichte, Briefe, Ebenhausen l9l3

P. Neugebauer, Spaziergänge in und um Klein-Oels, Ohlau 1924

Herausgeber, A.W. A. Neidhardt von Gneisenau, Ausgewählte Schriften, Militärverlag Berlin 1984

T. Crepon, Leberecht von Blücher, Neues Leben Berlin 1988

H. W. Koch, Die Befreiungskriege 1807-1815, 2. Auflage, Berg 1998

F. Bauer, Waterloo 18. Juni 1815, Das Ende der Herrschaft Napoleons, Potsdam 2005

ZEIT Geschichte, Napoleons Ende, Waterloo und der Wiener Kongess, Nr. 2 2015

Bilder:

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