Artikel erstellt am: 30. April 2022

Herzensbuch

Antje Wagner puzzelt mit uns. Einen Abend lang. In Rehhahns Kuhstall – seitab der Stadt hinter einer Ecke, einer Kopfsteinpflaster-Wiese und einer freundlich erleuchteten Tür durch die circa achtzig Zuhörer abtauchen in einen magischen Realismus.

Die Puzzleteile stecken in ihrem Buch Hyde – und dort nicht etwa schön nebeneinander, sondern versteckt hinter urwüchsigem Grün (to hide – engl. verstecken). Die Protagonistin Katrina ist ein vogelzwitschernder Teenager aber auch eine Tischlerin auf Rachefeldzug. Außen nett und dann erschreckend böse (Dr. Jeckyll & Mr. Hyde)? Aber wenn ein Tier in die Enge getrieben wird, fletscht auch das süßeste Kätzchen ihre Zähne und verpasst der fremden Tierhaut (hide – engl. Haut/Tierhaut) blutige Kratzer.

Jetzt aber der Reihe nach:

Antje Wagner stellt uns an diesem Abend ihr Herzensbuch vor. Drei Jahre hat sie an „Hyde“ gearbeitet. Mit Erscheinen des Buches 2018 wurde ihr klar, dass sie dafür auch eine Lesung konzipieren muss – das gehört zum Autorin-sein. Aber „wie?“ sinnierte sie wohl damals. Wie? – ohne zu viele Puzzleteile offen zu legen und doch etwas vorzulesen? Vom schwierigen Erarbeiten einer Lesung für ein Buch mit drei helixartig-verwobenen Handlungssträngen und vielen Puzzleteilen merken wir Zuhörer an diesem Abend nichts. Gekonnt und unterhaltsam nimmt uns Antje Wagner mit in ihre Arbeit als Autorin und natürlich auch in den phantastischen Roman „Hyde“.

Das gelb geblümte Sofa, die befranste Stehlampe, die Dichternarzissen auf der Bühne und das heimelige Feuer im Kaminofen im Kuhstall sind unsere Haken in die Wartenburger Realität. Aber Antje Wagner saugt uns mit ihrer Lesung rein in die Geschichte um Katrina, ihre Familie und den Ort Hyde. In den Momenten in denen sie nicht aus dem Buch vorliest, wirft sie rote Fäden wieder aus den Buchdeckeln heraus in unser zwischenmenschliches Erleben. Dabei sinniert sie über‘s Anderssein, über die Sprache der Tiere, über Flucht und Ankommen in einer neuen Heimat, über Fassaden und dunkle Tiefe in so manchem von uns.

Mehr sei auch nicht verraten. Eine Warnung gibt uns Antje Wagner zum Schluss mit: Berichte aus Feldstudien (= Leserbriefe) haben gezeigt, dass man zwar eine Weile braucht bis man in das Buch reinkommt, es dann aber nicht mehr weglegen kann. Also bitte schon mal „Hyde“ im Buchladen des Vertrauens ersteigern, am nächsten freien Tag abtauchen und puzzeln!

Ich persönlich würde mich freuen noch mehr vom Projekt „Fabelhaftes Wartenburg“ zu hören, die diesen literarischen Abend organisiert haben – so seitab der Stadt im Kuhstall hinter der Kopfsteinpflaster-Wiese. Die Förderung von reichem, kulturellen Leben in unserem ländlichen Raum ist hier meiner Meinung nach gelungen. Durch das Engagement von fleißigen Organisatoren im Ort sowie Antje Wagner und ihrer Agentur konnten wir bei freiem Eintritt der Lesung eines preisgekrönten Buches beiwohnen. Präsentiert wurde der Abend durch den „Förderkreis 1813 Wartenburg e. V.“ und Familie Rehhahn hat nicht nur das gelbe Sofa, die befranste Stehlampe und den heimeligen Kaminofen zur Verfügung gestellt. Toll, wie so die weitere Bereicherung des „Lebens auf dem Lande“ durch Kunst und Kultur möglich wird!

Vor einer ganzen Weile habe ich mal gefragt „Ja, kann man denn mit einem Theaterstück (…oder anderen kulturellen Veranstaltungen – Anmerkung der Autorin) ein Dorf retten?“ – und wieder einmal möchte ich sagen: „Ja, warum eigentlich nicht?!“

(Christine Zepperitz)

Herzensbuch

30. April 2022

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