Sagen, Geschichten, Kuriositäten

Das Untier von Ziegenbock

Quelle: Sagen und Geschichten aus dem Kreis Wittenberg, Wittenberg 1973, S. 88 f.

Wer kennt die Geschichten noch – niedergeschrieben in mehr oder weniger alten Büchern oder durch Erzählungen übermittelt.
Geschichten aus fernen Zeiten, die sich in unserem Ort ereignet haben … oder wenigstens hier ausgedacht wurden, möchten wir unter der Rubrik

“Sagen, Geschichten, Kuriositäten”
zusammentragen.

Jeder in Wartenburg wusste damals, dass an „den wilden Kolken“ ein Untier von Ziegenbock abends und nachts die Vorübergehenden schreckte und die Pferde scheuen und durchgehen ließ. Deshalb mied jeder zu diesen Zeiten die Stelle. Der Ziegenbock, mit riesigen Hörnern, gewaltiger Mähne und feurigen Augen, sollte einem Kobold gehören, der ihn dort hütete, aber selbst nie beobachtet worden war.

Der Postillion, der mit seiner Postkutsche nach Wartenburg wollte, musste an den wilden Kolken vorbei. Er war sonst immer pünktlich am Hildebrandschen Gasthof angekommen. In der Gaststube am Stammtisch wartete deshalb schon gespannt die abendliche Runde seit bald einer Stunde auf die Postkutsche. Da, endlich! Als der Postillion nach einer Weile in die Gaststube trat und der aufhorchenden Runde am Biertisch berichtete, dass an den wilden Kolken die Pferde vor einem Ungeheuer von Ziegenbock gescheut und durchgegangen seien, waren sie entsetzt, und die Gesichter erstarrten vor Grauen. „Und ich kann doch mit Pferden umgehen. Meine habe ich doch sonst fest in der Hand!“ erzählte der Postillion weiter. „Sie sind mir nach einer ganz anderen Richtung davongaloppiert. Ich musste dann über Globig hierher fahren.“ –

Die Abendrunde diskutierte darüber noch lange am Tisch und anschließend auf der Straße, so wurden alle im Dort davon unterrichtet.

Und wie war die Wirklichkeit? Der kluge Postillion hatte den Spukglauben der biederen Wartenburger ausgenutzt und einen Passagier, der schnell nach Globig wollte, gegen ein gutes Trinkgeld dorthin gefahren. Der Postillion erinnerte sich noch oft, auch später, als er nicht mehr seinen Dienst versah, mit vergnügtem Schmunzeln an die Geschichte mit de „Untier von einem Ziegenbock“.

(Quelle: Sagen und Geschichten aus dem Kreis Wittenberg, Wittenberg 1973, S. 88 f.)